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- Spuren der Urzeit - Geotope - Archive der Naturgeschichte - "Wildscheuer, Wildhaus, Wildweiberlei"
Ehemalige Steinzeit-Höhlen im Lahntal bei Diez und Runkel-Steeden
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Altsteinzeitlich besiedelte Höhlen in landschaftlich reizvoller Umgebung, mehrere tausend Fundstücke eiszeitlicher Säugetiere, zahlreiche Stein- und Knochenwerkzeuge aus unterschiedlichen paläolithischen Kulturstufen, die ältesten Schmuckobjekte und das wohl älteste „Kunstwerk“ Hessens: Aus heutiger Sicht ist nicht zu begreifen, dass solche Kulturdenkmäler und überregional bedeutsame Touristenziele durch industriellen Kalkabbau zerstört wurden.
Fundstellen der jüngeren Altsteinzeit (= Jungpaläolithikum) sind in Hessen an sich außerordentlich selten. In den Steedener Höhlen waren sowohl das ältere - (Aurignacien; ca. 36.000 - 28.000 v. Chr.) als auch das mittlere - (Gravettien; ca. 28.000 - 18.000 v. Chr.) sowie das späte Jungpaläolithikum (Magdalénien; ca. 17.000 v. Chr. - 10.000 v. Chr.) vorhanden. Letzteres ist in Hessen allein durch die Fundschicht der Wildscheuer belegt ! Hinzu kommt die forschungsgeschichtliche Bedeutung. K. A. v. Cohausen und H. Schaaffhausen fanden in diesen Höhlen 1874 einen Beweis für die damals noch umstrittene gleichzeitige Existenz von Mensch und Mammut: „Dass der Mensch von Steeten... ein Mammuthjäger gewesen sei, ist nach dem Ergebnis unserer Untersuchung nicht wahrscheinlich, aber die Möglichkeit kann nicht bestritten werden, dass die durch Menschenhand bearbeiteten Mammuthknochen vom lebenden Thiere genommen sind ...“ (H. Schaaffhausen 1879). Bekannt geworden waren die Fundstellen schon vor mehr als 150 Jahren. So schrieb C. Thomä im Jahr 1846: „Über das Vorkommen fossiler Knochen bei Steeten im Amte Runkel ... Hier ist der Ort, wo Steinbrecher schon vor 6-7 Jahren unter Schutt und Felsen Knochen und Zähne von Säugethieren fanden, ohne dem Funde eine weitere Bedeutung beizumessen. Nur arme Leute aus Steeten, welche schon längere Zeit Knochen zu Dungmehl sammelten, nahmen sich Dessen, was hier von Gebeinen zufällig zum Vorschein kam, an und trugen es zur Knochenmühle in Limburg. ..."
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Wildscheuer, Wildhaus, Wildweiberlei <> Ehemalige Steinzeit-Höhlen im Lahntal bei Diez und Runkel-Steeden |
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Zum Glück wurde jedoch nicht alles „zermahlen“, so dass es im Jahr 1874 zu einer ersten systematischen Ausgrabung in den Höhlen bei Steeden durch K. A. von Cohausen (1812-1894) kam. An der Auswertung beteiligte sich auch H. Schaaffhausen, der die eiszeitliche Fauna (Knochenreste) untersuchte. Der Höhlenvorplatz wurde später von H. Behlen und R. R. Schmidt bearbeitet; ab 1920 konnten noch F. Kutsch und H. Heck zur Kenntnis der Steedener Höhlen beitragen. Kurz vor der endgültigen Vernichtung 1953 wurde von H.-E. Mandera schließlich eine letzte Rettungsgrabung durchgeführt.
Artefakte und Faunenreste, die dem MOLAMU für eine Sonderausstellung während des Hessentages 2005 in Weilburg ("Der Natur auf der Spur") vom Museum Wiesbaden zur Verfügung gestellt wurden.
In der Wildscheuer, mit 18 m Tiefe und 7 m Höhe im Eingangsbereich größte der Höhlen, konnten Fundschichten mit insgesamt 4 m Mächtigkeit freigelegt werden. Zuunterst wurden einige mittelpaläolithische Artefakte, darunter ein Faustkeil, angetroffen. Dabei lagen auch Schädelfragmente, die lange einem Neandertaler zugerechnet wurden, inzwischen aber als Knochenfragmente des Höhlenbären erkannt sind. Über dieser Fundschicht wurde ein knapp 1 m mächtiger Horizont mit Steingeräten des Aurignacien ausgegraben, der neben typischen Kielkratzern, Sticheln und Klingen auch durchbohrte Steinperlen und Bruchstücke massiver Knochenspitzen lieferte. In der nächst jüngeren Schicht zeigen die Typen der Kratzer und Stichel sowie charakteristische Rückenspitzen, dass dieser Fundkomplex zum Gravettien gehört. Als herausragender Fund muss hier das bisher einzige hessische „Kunstwerk“ dieser Zeit genannt werden: ein mit parallel laufenden Zickzacklinien verzierter Vogelknochen. Über dem Gravettien lag eine Schicht mit Steingeräten des Magdalénien und einem durchbohrten Fuchszahn. Das Rohmaterial der Artefakte aller Fundschichten besteht aus Kieselschiefer, Quarzit, Chalcedon und Feuerstein.
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Wildscheuer, Wildhaus, Wildweiberlei <> Ehemalige Steinzeit-Höhlen im Lahntal bei Diez und Runkel-Steeden |
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Eingang zum “Wildhaus”
Hessens ältestes “Kunstwerk”: Ein ca. 25.000 Jahre alter verzierter Vogelknochen aus der Gravettien-Schicht der Wildscheuer (Größe 10,3 cm)
(sämtliche Photos mit freundlicher Genehmigung des Museum Wiesbaden)
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Die Höhle Wildhaus lag etwa 65 m südlich der Wildscheuerhöhle. Den Maßen nach handelte es sich eher um eine Felsspalte (54 cm breit, 3,5 m hoch, etwa 11 m tief), die bereits 3 m nach dem Eingang nur noch auf Knien begangen werden konnte. Hier fand Cohausen neben unterschiedlichsten Artefakten des Aurignacien auch eine 40,5 cm lange Geschoss-Spitze aus Mammutknochen. Zusammen mit der überwiegenden Mehrzahl der Artefakte wird dieser großartige Fund heute in der Sammlung Nassauischer Altertümer (SNA) des Museums Wiesbaden aufbewahrt. Die meisten der aus den Höhlen geborgenen zoologischen Reste befinden sich dagegen in der Naturwissenschaftlichen Sammlung des Museums Wiesbaden (NWS). Von den mehr als 2800 Knochenfragmenten stammen etwa 1470 von Kleinsäugern, die bislang noch nicht bearbeitet sind. Sicher nachgewiesen sind: Höhlenbär, Wildpferd, Höhlenhyäne, Wolf, Fuchs, Mammut, Wollhaarnashorn, Rentier, Höhlenlöwe, Hase, Hirsch und Schneehuhn. Nur ein vergleichsweise geringer Teil der Knochen kann jedoch gesichert als Jagdbeuterest des Menschen angesprochen werden. Der Großteil stammt von natürlich in der Höhle verendeten Tieren und Beuteresten von Raubtieren, was anhand zahlreicher Verbissspuren zu belegen ist. Leider lassen sich die meisten zoologischen Reste heute nicht mehr sicher einem bestimmten Kulturhorizont zuordnen, da nur H.-E. Mandera dies bei seinen Grabungen entsprechend dokumentiert hat.
Wollnashorn - Unterkiefer
Höhlenhyäne - Unterkiefer
Der Großteil der Funde aus den Lahntal-Höhlen ist heute im Museum Wiesbaden zu besichtigen, dessen Besuch nachdrücklich zu empfehlen ist. Unter dem Gesichtspunkt der Regionalentwicklung könnte zudem darüber nachgedacht werden, die Höhle Wildscheuer unweit ihrer ursprünglichen Lage zu rekonstruieren, um sie in ein geotouristisches Gesamtkonzept einbinden zu können. Im Rahmen eines GeoPark „Westerwald-Lahn-Taunus“ wäre dies bestimmt ein ganz besonderes Highlight. © MObiles LAndschaftsMUseum 2008
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Liebe LeserInnen! Das MOLAMU stellt Ihnen/Euch an dieser Stelle Informationen zu speziellen Themen der Natur- und Erdgeschichte zur Verfügung und ist dabei stets bemüht, diese auf den aktuellen wissenschaftlichen Stand zu bringen. Dennoch könnten sich Fehler einschleichen. Für diesbezügliche Hinweise sind wir deshalb immer dankbar. Da sich das MOLAMU somit immer der öffentlichen Diskussion stellt, würden wir uns auch freuen, wenn bei Weiterverwendung dieser Informationen nicht vergessen wird, die Quelle anzugeben. Vielen Dank! Literaturempfehlung für weitergehende Informationen: FIEDLER, L. (1994): Alt- und mittelsteinzeitliche Funde in Hessen - Führer zur hessischen Vor- und Früh- geschichte, Band 2. - 302 S., 166 Abb. , 2. vollst. neu erstellte Aufl. - Theiss; Stuttgart (ISBN 3-8062-1129-9) TERBERGER, K. (1993): Das Lahntal-Paläolithikum - Materialien z. Vor- und Frühgeschichte von Hessen, Band 11. - 204 S., 60 Abb., 76 Taf. - Landesamt für Denkmalpflege Hessen; Wiesbaden. (ISBN 89822-411-2)
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© www.mobileslandschaftsmuseum.de last update 04.11.2024
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